Interview mit Dorothee Blessing

Die Führungsfrau

Dorothee Blessing, Foto: Goldman Sachs
Dorothee Blessing, Foto: Goldman Sachs

Die Führungsfrau. Die Welt des Investmentbankings ist eine Männerdomäne, doch Dorothee Blessing hat es bis nach ganz oben geschafft. Die 42-Jährige ist Partnerin der ruhmreichen Bank Goldman Sachs und gilt weltweit als eine der Top- Expertinnen für Corporate Finance. Im Gespräch verrät die dreifache Mutter, wie es gelingen kann, Familie und Karriere zu kombinieren, und wie wichtig es ist, auf dem Weg nach oben Ziele zu erkennen und zu formulieren. Die Fragen stellte André Boße.

Zur Person

Dorothee Blessing, 42 Jahre, studierte BWL in St. Gallen und Paris. Nach ihrem Studienabschluss begann sie ihre Tätigkeit bei Goldman Sachs 1992 als Analystin im Frankfurter Büro der Bank und leistete in den Folgejahren einen erheblichen Beitrag zum Aufbau des Geschäfts von Goldman Sachs in Deutschland. Darüber hinaus war Dorothee Blessing für Goldman Sachs auch in verschiedenen Positionen in London und New York tätig.

Sie hat umfassende Erfahrung in den Bereichen Corporate Finance, Finanzierung und im Geschäft mit Fusionen und Übernahmen über verschiedene Industrien hinweg. Dorothee Blessing wurde 2001 zum Managing Director und 2005 zur Partnerin bei Goldman Sachs berufen. Sie ist verheiratet und hat drei Kinder.

Frau Blessing, was war aus Ihrer Sicht die wichtigste Weichenstellung zu Beginn Ihrer Laufbahn?
Dass ich einen Beruf und ein Unternehmen gewählt habe, in dem ich eine sehr abwechslungsreiche Arbeit habe, mit spannenden und immer neuen Herausforderungen inmitten des globalen wirtschaftlichen Geschehens – und das in einem Team von interessanten und ebenso hoch motivierten Kollegen. Daraus resultieren meine Motivation und natürlich auch der Spaß an der Arbeit. Und wenn dies dann noch in einem Umfeld stattfindet, in dem gute Leistungen schon in frühen Jahren mit mehr Verantwortung honoriert werden, dann ist das ein sehr guter Grundstein. Eine weitere wichtige Erkenntnis bereits zu einem frühen Zeitpunkt in meinem beruflichen Werdegang war, dass jeder Mensch seine Karriereplanung selbst in die Hand nehmen sollte. Das klingt zunächst banal, aber es reicht eben oftmals nicht, nur Spitzenleistungen zu bringen und darauf zu hoffen, dass die persönlichen Ziele irgendwann eintreten. Hier ist jeder Einzelne gefragt, sich aktiv einzubringen, seine persönlichen Ziele auch gegenüber anderen zu formulieren und dabei unter Umständen auch Rückschläge in Kauf zu nehmen. Ich hatte mir zum Beispiel nach meinem Einstieg bei Goldman Sachs im Investment Banking in Frankfurt vorgenommen, dass ich unbedingt für längere Zeit in unserem New Yorker und auch unserem Londoner Büro arbeiten wollte. Das habe ich deutlich als mein Ziel genannt – und auch begründet, warum ich dies für meine Weiterentwicklung für sinnvoll erachte.

Ab welchem Zeitpunkt war Ihnen bewusst, dass Sie über einen so langen Zeitraum Ihren Werdegang in der Finanzindustrie suchen würden? Und kamen Ihnen auf dem Weg nach oben mitunter Zweifel?
Ich habe mir über meinen längerfristigen beruflichen Werdegang nie wirklich größere Gedanken gemacht. Ich habe mich immer den anstehenden Herausforderungen gestellt und dabei natürlich auch nach vorne geschaut. Natürlich kommen einem auch immer wieder Zweifel, gerade zum Beispiel, wenn man den Schritt von einem arbeitenden Ehepaar hin zu einer größeren Familie macht und auf einmal neben den beruflichen Herausforderungen vor vielen neuen familiären Herausforderungen steht und versucht, dies alles unter einen Hut zu bekommen.

Sie sind verheiratet und haben drei Kinder. Wie gelingt es, Spitzenjob und Familie erfolgreich unter einen Hut zu bringen?
Leider gibt es dafür kein Patentrezept. Als unsere Kinder zur Welt kamen, wusste ich nicht genau, wie es funktionieren würde, aber ich wollte immer eine große Familie haben – und nun hatte ich mittlerweile auch einen Job, der mir viel Spaß machte. Das heißt, ich hatte für mich eigentlich ganz klar den Willen, einen Weg zu finden, beides miteinander zu vereinen. Sicherlich gehört dazu auch etwas Mut, ins kalte Wasser zu springen und es auszuprobieren. Ich musste viel lernen und mir vor allem auch eingestehen, dass man eben doch nicht alles haben kann, sondern dass man Entscheidungen treffen muss. Immer wieder steht man vor Entscheidungen, man muss von Fall zu Fall wieder Prioritäten setzen. Und man muss dabei gegenüber sich selbst ehrlich sein. Flexibilität und Teamarbeit gelten nicht nur im Büro, sondern auch in der Familie und mit den erforderlichen Unterstützungskräften. Die Zeit mit der Familie mag knapp bemessen sein, aber sie gewinnt dadurch umso mehr an Bedeutung, und mir ist wichtig, dass die Zeit im Kreis der Familie dann auch wirklich der Familie gehört.

Investmentbanking gilt unverändert als Männerdomäne. Trifft diese Außenwahrnehmung noch zu?
Wenn man die nüchternen Zahlen betrachtet, könnte man natürlich zu dem Eindruck kommen. Trotzdem stelle ich in den vergangenen Jahren ein wachsendes Interesse vieler junger Absolventinnen an einer Karriere im Investmentbanking fest, und wir wünschen uns natürlich, dass junge Frauen sich für einen solchen Berufsweg entscheiden, und ermutigen sie auch dazu.

Was würden Sie jungen Frauen raten, die sich für eine Karriere im Investmentbanking interessieren?
Grundsätzlich wäre mein Rat – und zwar erst einmal unabhängig von der Entscheidung für einen bestimmten Berufszweig –, sich gewissenhaft mit dem Unternehmen und dessen Kultur auseinanderzusetzen und seine eigene Motivation im Hinblick darauf zu überprüfen, warum eine Absolventin gerade dort ihre berufliche Laufbahn beginnen will.

Worauf sollten Frauen generell bei der Planung ihrer Karriere achten: Wann zählt besonders das Fachwissen, wann die Führungskompetenz, wann strategisches Geschick?
Im Prinzip kommt hier alles zusammen. Es ist meines Erachtens wichtig, dass sich Frauen im Vorfeld klarmachen, für welche Art von Organisation sie arbeiten möchten. Ob sie dort ihre persönlichen Ziele verwirklichen und wie sie sich als Mitarbeiterin von Anfang an einbringen können. Ein Arbeitgeber wird zunächst einmal auf die fachliche Qualifikation und den „personal fit“ seiner Mitarbeiter schauen. Gerade für Frauen ist es zunehmend wichtig zu wissen, dass sie in einem Umfeld arbeiten, in dem der berufliche Karriereweg weiblicher Mitarbeiter gezielt gefördert wird – auch im Hinblick auf Persönlichkeitsentwicklung und Führungsfähigkeiten.

Würden Sie sagen, dass Sie in Ihrem Berufsalltag in bestimmten Situationen bewusst anders handeln oder ein Problem anders lösen als Ihre männlichen Kollegen?
Natürlich gibt es individuelle Unterschiede, mit bestimmten Situationen umzugehen. Ich weiß nicht, ob dies wirklich eine Frage von dezidiert „männlicher“ oder „weiblicher“ Betrachtungsweise ist. Wichtig scheint mir, in einer Organisation zu arbeiten, in der Entscheidungsprozesse transparent sind und es eine offene Gesprächs- und Problemlösungskultur gibt. Dies sind immens wichtige Faktoren für eine erfolgreiche Zusammenarbeit, intern wie extern. Das ist übrigens auch der Grund, warum Teamarbeit so wichtig ist. Unterschiedliche Menschen mit unterschiedlichem Background, sei es akademisch, kulturell oder erfahrungsbasiert, bringen zwangsläufig unterschiedliche Aspekte und Betrachtungen in einen Lösungsprozess ein.

Gerade in der miteinander vernetzten Finanzwelt ist Kommunikation ein hohes Gut. Viele Frauen sehen in diesem Bereich ihre Stärke – besitzen sie dadurch auch einen heimlichen Vorteil?
Ich glaube, man sollte sich bei der Bewertung dessen, wie Frauen und Männer arbeiten, nicht von Klischees leiten lassen. Schlussendlich kommt es auf die persönliche Motivation, Erfahrung und Leistung an. Wenn wir über Kommunikation reden, bedingt das eine Unternehmenskultur, die einen konstanten Dialog über alle Hierarchiestufen hinweg ermöglicht und alle zu Wort kommen lässt. Ich habe es in meiner bisherigen beruflichen Laufbahn immer als großen Vorteil wahrgenommen, in einer Organisation zu arbeiten, die auf eine offene, professionelle Kommunikation großen Wert legt.

Gab es auf Ihrem Karriereweg eine Mentorin oder ein weibliches Vorbild, das Ihnen geholfen oder Sie geprägt hat?
Interessanterweise gab es für mich bisher immer Mentoren und männliche Vorbilder, die mich in meinem Werdegang begleitet haben. Wahrscheinlich ist das dann doch der Tatsache geschuldet, dass wir in der Vergangenheit wenige Frauen auf Partnerebene oder in Führungsverantwortung hatten. Dies hat sich heute geändert, und es macht mir sehr viel Spaß, Mentorin für eine Reihe von erfolgreichen Kolleginnen, intern oder auch extern, zu sein und mich regelmäßig mit ihnen auszutauschen.

Auf welche Art und Weise fördern Sie Ihre Kolleginnen?
Ich bin Mentorin oder einfach Gesprächspartnerin für die jungen Kolleginnen aus unterschiedlichen Büros. Wir verfügen zudem über ein umfangreiches Angebot an Trainingsmaßnahmen für alle Mitarbeiter, besonders aber auch für weibliche Nachwuchskräfte, sowie regionale und globale Netzwerke speziell für Frauen, bei denen der aktive Erfahrungsaustausch im Vordergrund steht.

Wie beurteilen Sie die Chancen, dass wir in 20 Jahren deutlich mehr Frauen in Spitzenpositionen, Vorständen und Aufsichtsräten großer Unternehmen finden?
Frauen müssen im Berufsleben nicht nur als Einsteiger eine Selbstverständlichkeit sein – das sind wir ja schon –, sondern sollten dies auch in Führungspositionen und Aufsichtsgremien werden. Der Weg dorthin führt zum einen über entsprechende Qualifikation und Leistung, zum anderen aber auch über die Offenheit der Unternehmen, Frauen den Weg in Spitzenpositionen zu eröffnen. Dies ist also wesentlich eine Frage der Unternehmenskultur. Ändert sich diese nachhaltig, und dafür gibt es einige positive Anzeichen, dann sehe ich nichts, was dagegen spricht, dass wir in Zukunft mehr große, internationale Unternehmen sehen, die von Frauen geführt werden.

Zum Unternehmen

Die international aufgestellte Investmentbank Goldman Sachs mit Hauptsitz in New York gehört zu den traditionsreichsten und exklusivsten Bankhäusern der Welt und gilt an der Wall Street als Vorzeigebank. Gegründet wurde das Unternehmen 1869 vom deutschen Auswanderer Marcus Goldman. Schon früh galt die Bank als Spezialist für Börsengeschäfte und Investmentfonds, heute ist sie als Finanzdienstleister für große Unternehmen, Institutionen und ausgewählte wohlhabende Privatkunden tätig.

Das Unternehmen unterhält Dependancen an allen wichtigen Finanzplätzen der Welt, in Deutschland hat die Investmentbank ihr Büro in Frankfurt am Main. Es gibt weltweit rund 400 Partner. Viele ehemalige Goldman-Sachs-Manager machten anschließend große Karrieren in der Politik oder standen an der Spitze anderer Großunternehmen.