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Brasiliens Abstieg: Armut durch Korruption

Foto: GABRIEL BOUYS/ AFP

Wirtschaftlicher Abstieg Brasiliens Jesus Maria...

Einst war Brasilien auf dem Sprung vom Schwellenland zum Wohlstandsstaat. Doch Korruption und Unvermögen der Regierung haben die stolze Nation um Jahre zurückgeworfen. Manche Ökonomen geben das Land bereits auf.

Wer verstehen will, warum sich Wirtschaftswissenschaftler geschockt von Brasilien abwenden, muss sich nur einmal ansehen, was sich dort derzeit auf höchster politischer Ebene abspielt.

Der brasilianischen Präsidentin Dilma Rousseff droht ein Amtsenthebungsverfahren (englisch: Impeachment). Laut Gerichtsurteil hat ihre Regierung aus Wahlkampfkalkül 2014 die Haushaltsbücher manipuliert. Parlamentspräsident Eduardo Cunha entscheidet über die Einleitung eines Amtsenthebungsverfahrens. Dabei wäre er selbst ein Fall dafür.

Cunha soll als einer der mächtigsten Politiker Brasiliens fünf Millionen Dollar Schmiergeld aus Geschäften der halbstaatlichen Ölgesellschaft Petrobras bezogen haben. Das haben mehrere Kronzeugen ausgesagt. Und so geht es aus Kontoauszügen der Schweizer Bank Julius Bär hervor, die das Institut brasilianischen Ermittlern zugänglich gemacht hat.

Cunhas Frau, ein ehemaliges TV-Sternchen, hat laut Berichten von dem Konto ihre Tennisstunden in einer der teuersten Sportakademien in den USA bezahlt. Ihre Tochter hat so ihr Studium an einer spanischen Eliteuniversität finanziert. Daheim in Rio und Brasília führen die Cunhas ein Millionärsleben. Doch der Parlamentspräsident behauptet treuherzig, dass er nie ein Konto im Ausland besessen habe - und konspiriert zusammen mit der Opposition gegen die Präsidentin.

Parlamentspräsident Cunha: Belastende Kontoauszüge aus der Schweiz

Parlamentspräsident Cunha: Belastende Kontoauszüge aus der Schweiz

Foto: © Ueslei Marcelino / Reuters/ REUTERS

Cunhas Schweizer Konten sind inzwischen gesperrt, die Indizien gegen ihn sind überwältigend. Doch zurücktreten will der gewiefte Politiker nicht, die meisten seiner Parlamentskollegen drängen ihn auch nicht dazu: Macht geht über Moral. Cunha besitzt den Schlüssel zum Impeachment, dieses Privileg nutzt er geschickt aus. Er hat praktisch das gesamte Land zur Geisel seiner Interessen gemacht.

Brasilien, die Wirtschaftslokomotive Lateinamerikas und einstiges Vorzeigekind der Schwellenländer, ist seit Monaten politisch gelähmt; wirtschaftlich steckt das Land in der schlimmsten Krise seit Jahrzehnten. Die Regierung behauptet, die Weltwirtschaft sei schuld: Die Preise für brasilianische Rohstoffe wie Eisenerz und Soja sind im Keller.

Brasiliens Krise ist hausgemacht

Doch das taugt nicht als alleinige Erklärung. Denn unter der Abhängigkeit vom Rohstoffexport leiden auch andere lateinamerikanische Länder. Trotzdem wachsen sie noch, während Brasiliens Wirtschaft in diesem Jahr voraussichtlich um drei Prozent schrumpfen wird. Auch für nächstes Jahr sagen Experten eine Rezession voraus.

Brasiliens Krise ist weitgehend hausgemacht: Der Korruptionsskandal um Petrobras und seine politischen Folgen haben ein Klima der Unsicherheit geschaffen. Investoren halten sich zurück, Anleger ziehen ihr Geld von der Börse ab. Die Landeswährung Real ist abgestürzt, die Ratingagentur Standard & Poor's stufte brasilianische Anleihen auf Ramschniveau zurück.

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Brasilien: Rousseff unter Druck

Foto: EVARISTO SA/ AFP

Mit einer erratischen Wirtschaftspolitik und falschen Wahlversprechen hat Präsidentin Rousseff den Niedergang beschleunigt: Jahrelang zwang sie die Zentralbank zu niedrigen Zinsen, um den Konsum anzukurbeln - damit hat sie die Inflation angeheizt, das alte Übel Brasiliens. Für nächstes Jahr rechnen einige Experten mit einer zweistelligen Teuerungsrate.

Mit Bilanzierungstricks hat Rousseff die Haushaltsbilanz für 2014 geschönt. Für 2015 präsentierte sie einen Haushaltsentwurf, der ein Defizit in zweistelliger Milliardenhöhe aufweist. Doch der Kongress rebelliert: Er weigert sich, über ihre Vorschläge zur Sanierung der Staatsfinanzen abzustimmen. Gegner der Präsidentin legten stattdessen eine Liste neuer Maßnahmen vor, die das Defizit drastisch ausweiten würden.

Korruption wurde jahrelang als Kavaliersdelikt angesehen

Zugleich kommen fast täglich neue Enthüllungen über die Verwicklung von Managern und Politikern in den Petrobras-Skandal ans Licht. Die Staatsanwaltschaft schätzt den Schaden, der Petrobras - und damit der brasilianischen Volkswirtschaft - entstanden ist, auf über drei Milliarden Dollar. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen mehr als hundert Personen. Schweizer Banken haben mehr als hundert Konten von Brasilianern im Zusammenhang mit den Ermittlungen im Petrobras-Skandal eingefroren.

Jahrelang wurde Korruption in Schwellenländern wie Brasilien als Kavaliersdelikt angesehen. Jetzt stellt sich heraus, dass das gesamte politische System von der Schmiergeld-Mentalität zerfressen ist. Unter Rousseff und ihrem Vorgänger, dem Volksidol Lula, wurden Milliarden aus zwielichtigen Petrobras-Geschäften abgezweigt und über Kickback-Deals in die Kassen von Politikern, Geldwäschern und Managern großer Baufirmen umgeleitet.

Der illegale Aderlass gefährdet nicht nur die Existenz des Petrobras-Konzerns, er zieht die gesamte Wirtschaft nach unten. Ausgerechnet das einstige Vorzeigeunternehmen, der Stolz der Nation, wurde von Politikern ausgeweidet wie eine fette Beute. Leidtragende sind jene Millionen Brasilianer, denen die Regierung jahrelang den Traum vom Aufstieg in die Mittelschicht vorgegaukelt hatte.

Männer wie Eduardo Correa. Bis vor einem Jahr arbeitete Correa als Monteur auf einer riesigen Baustelle in der Industriestadt Itaboraí bei Rio de Janeiro. Petrobras wollte hier einen riesigen petrochemischen Komplex mit mehreren Raffinerien und einem Ölhafen errichten.

Hauptstraße in Itaboraí: Die Hoffnung auf Wachstum ist dahin

Hauptstraße in Itaboraí: Die Hoffnung auf Wachstum ist dahin

Foto: Marcelo Sayao/ picture alliance / dpa

Dann ging dem Ölkonzern das Geld aus; die Direktoren der Baufirmen, die für das Projekt in Itaboraí zuständig waren, wurden wegen Korruption verhaftet. Correa verlor seinen Job, heute lebt der 42-Jährige von Ersparnissen. Mit seinem Motorrad verrichtet er Kurierdienste, so schlägt er sich durch. Seine Frau betreibt ein Nagelstudio. Zwei der drei Kinder gehen noch zur Schule, der dritte sollte jetzt eigentlich auf die Uni - doch dafür fehlt das Geld.

"So schlimm war der Absturz noch nie"

"Die wirtschaftliche Entwicklung glich immer einer Achterbahn", sagt Correa. "Aber so schlimm war der Absturz noch nie". Itaboraí hat 120.000 Einwohner. Innerhalb von sechs Monaten gingen dort 13.000 Arbeitsplätze verloren, rechnet Gewerkschaftsführer Rogério Assuncao vor. Vor der staatlichen Suppenküche bilden sich jeden Mittag lange Schlangen, Arbeitslose ohne Dach über dem Kopf schlafen unter den Markisen an der Hauptstraße. Bei der staatlichen Arbeitsvermittlung kommen auf eine offene Stelle 70 Bewerbungen. Die Jobangebote sind um 90 Prozent zurückgegangen.

Die ganze Stadt lebte vom Boom, den das milliardenschwere Petrobras-Projekt ausgelöst hatte. Mieten und Immobilienpreise stiegen, Dutzende neuer Hotels schossen aus dem Boden, Arbeitssuchende aus dem ganzen Land strömten nach Itaboraí.

Jetzt liegt die riesige Baustelle weitgehend brach, die Hotels stehen leer. Dafür blühen die Geschäfte von Pfandhäusern und Wucherern. Bürgermeister Helil Cardozo hat sich und seinen Mitarbeitern das Gehalt um zwanzig Prozent gekürzt. "Der Stadtetat ist um die Hälfte geschrumpft", klagt er.

Brasiliens Finanzminister Joaquim Levy hat versprochen, dass sich die Konjunktur bereits im kommenden Jahr aufhellen werde. Voraussetzung sei jedoch, dass die von ihm verordneten Sparmaßnahmen vom Kongress verabschiedet würden. Doch dafür müsste sich die politische Lage beruhigen - und danach sieht es zurzeit nicht aus.

Brasilianische Präsidentin Rousseff: Verlust des Amtes droht

Brasilianische Präsidentin Rousseff: Verlust des Amtes droht

Foto: © Nacho Doce / Reuters/ REUTERS

Wenn der Kongress auf einem Amtsenthebungsverfahren gegen die Präsidentin besteht und ihr weiterhin die Absegnung der Sparmaßnahmen verweigert, könnte die Krise zum Crash führen. Der Ökonom Nouriel Roubini warnte gegenüber Brasiliens größter Tageszeitung "Folha de Sao Paulo" vor einer gefährlichen Spirale: Ohne ein wirksames Sparprogramm "wird das Land von den Ratingagenturen weiter herabgestuft, der Real wird seinen Verfall beschleunigen, und die Wirtschaft wird weiter schrumpfen", sagte Roubini. "Brasilien steht am Rande des Abgrunds."