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Heißhunger Möglichst viel, süß und fettig

Ein kleines, hungriges Monster lauert im Kopf von jedem, der eine Diät macht - und schlägt immer in unseren schwächsten Momenten zu. Heißhunger ist der Horror der Kalorienzähler. Wer ihn bekämpfen will, sollte zu psychologischen Tricks greifen.
Von Angelika Unger

Den ganzen Tag hat man sich zusammengerissen. Ist in der Kantine stolz an Tiramisu und Mousse au chocolat vorbeigeschritten. Hat im Café den Keks liegengelassen, den es zum Espresso gab - den Espresso natürlich ohne Milch und Zucker. Hat sich tapfer an seinem Wasserglas festgehalten, als die neue Kollegin zum Einstand Sekt und Salzstangen herumreichte. Hat, kurz gesagt, souverän einen Tag voller Versuchungen gemeistert. Und dann sitzt man abends auf dem Sofa - und er kommt, unaufhaltsam: Heißhunger. Möglichst viel, möglichst süß, möglichst fettig muss es jetzt sein, schreit im Kopf der innere Feind jeder Diät.

Wie entstehen Heißhungerattacken - und wie kann man sie verhindern? Fragen, mit denen sich wohl jeder herumschlagen muss, der den Kampf gegen die Pfunde aufnehmen will. Denn die hastig heruntergeschlungenen Kalorienbomben machen häufig die Bemühungen eines Diättages zunichte.

Die spontane Antwort des Ernährungspsychologen Christoph Klotter dürfte frustrierten Kalorienzählern gar nicht gefallen: "Heißhungerattacken entstehen häufig, wenn Menschen versuchen, ihr Essverhalten extrem zu kontrollieren", sagt Klotter, der an der Hochschule Fulda lehrt. Das beste Mittel gegen Heißhunger sei daher, "aus dem Essen kein Drama zu machen", wie er sagt. Was natürlich nahezu unmöglich sein dürfte für diejenigen, die sich mit einer Diät herumplagen. Doch auch die können sich den Kampf gegen das kleine, hungrige Monster im Kopf mit einigen Psychotricks leichter machen.

Modell-Lernen mit Glotze, Chips und Bier

Nach Erfahrung des Psychologen schlägt der Heißhunger besonders oft am Abend zu. "Viele erliegen der Illusion, dass man abnimmt, wenn man den ganzen Tag nicht isst." Doch dann entstehe der Eindruck: 'Ich habe den ganzen Tag verzichtet - jetzt habe ich es mir verdient zu essen.' Klotters Rat ist daher so simpel wie einleuchtend: nicht viel essen, aber regelmäßig.

Vor allem vorm Fernseher werden viele Diäter schwach - wohl auch angesichts der Snacks und Kalorienbomben, die Abend für Abend über die Mattscheibe flimmern. "Man nennt das auch Modell-Lernen", erläutert Klotter. "Wir sehen etwas, was wir verführerisch finden, und versuchen es sofort nachzumachen."

Besonders teuflisch wird die Sache dann, wenn man dieser Versuchung immer wieder nachgibt - denn so koppelt das Gehirn die zwei Reize aneinander: "Ich setze mich vor den Fernseher und hole die Tüte Chips und das Bier. Ich gehe ins Kino und esse Popcorn und Eis. Irgendwann kann ich mir das eine nicht mehr ohne das andere vorstellen."

Badewanne statt Schokolade

Also Glotze aus? Ganz so radikal muss man zu sich selbst nicht sein. Es hilft schon, sich nicht nach einem Tag voller Selbstkasteiung hungrig vor den Fernseher zu setzen, rät Klotter: "Nehmen Sie sich schon vor dem Fernsehen Zeit, kochen Sie sich etwas Schönes. Essen Sie bewusst, nicht nebenbei, und horchen Sie in sich hinein, wann Sie satt sind. Machen Sie daraus ein Ritual."

Wenn all das nichts nützt und die Attacke kommt, geben Sie ihr nicht ohne Widerstand nach. Wer sagt denn, dass Ihr Gehirn den Reiz "Alarm, Heißhunger!" immer mit "zwei Tafeln Schokolade, Vollmilch, mit ganzen Nüssen" koppeln muss? "Entwickeln Sie andere Handlungsmuster für eine solche Situation", rät Ernährungspsychologe Klotter. "Sie können mit einer Freundin telefonieren, die Badewanne einlaufen lassen, einmal um den Block laufen."

Schöne Worte, denken Sie? "All das ist einfacher gesagt als getan", gibt Klotter zu. So eine Reizkopplung ändert man eben nicht von heute auf morgen - das braucht Geduld und Durchhaltevermögen. Zumal beim Essen auch die Psyche eine Rolle spielt. "Essen ist ein prima Trost - es ist schwer, davon wegzukommen", fasst Klotter zusammen.

Mehr als Physiologie

Dieser Effekt von Essen werde oft unterschätzt, meint Klotter. So glauben etwa die Anhänger der Theorie vom glykämischen Index, dass Kohlenhydrate der Schlüssel zu Heißhunger-Attacken sind. Kohlenhydrate, so die Theorie, lassen den Blutzuckerspiegel in die Höhe schnellen und dann rasant wieder abfallen. Die Folge sei ein starkes Hungergefühl.

"Sicherlich werden Heißhunger-Attacken durch den glykämischen Index beeinflusst", sagt Klotter, "man kann Hunger aber nicht allein auf die Physiologie reduzieren." Vielmehr sei Essen verwoben mit körperlichen und seelischen Bedürfnissen. "Schon beim Stillen erfahren Kinder, dass Essen nicht nur Nahrungsaufnahme bedeutet, sondern auch Zuwendung, Wärme, Geborgenheit."

Ein Kreislauf aus Verbot, Scheitern und Verdammen

Daher kann es auch immer wieder vorkommen, dass Sie schwach werden. Und eben doch zur Tafel Vollmilch mit ganzen Nüssen greifen statt einmal um den Block zu laufen - etwa weil Sie Ärger im Büro hatten oder Stress mit dem Partner. Was dann? "Dann ist es wichtig, sich zu verzeihen", sagt Klotter. Auch das so ein Satz, der so leicht gesagt ist und so schwer umzusetzen.

Und dennoch ein wichtiger Satz: Denn wer versucht, am nächsten Tag weniger zu essen, quasi als Ausgleich für die Sünden des Vorabends, der gerät rasch wieder in denselben gefährlichen Kreislauf: sich etwas verbieten, daran scheitern und sich dann furchtbar dafür verdammen. Das könne sogar zu einer Ess-Störung führen, warnt Klotter. Von Binge-Eating-Disorder sprechen Therapeuten, wenn jemand regelmäßig unkontrollierte Essanfälle hat und hinterher unter extremen Schuldgefühlen leidet. Häufig geht die Störung mit Übergewicht und Depressionen einher. Dabei wollten viele der Betroffenen wahrscheinlich ursprünglich nur eines werden: schlank und schön.

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