Udo Kier

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Udo Kier (2018)

Udo Kier (* 14. Oktober 1944 in Köln-Mülheim[1] als Udo Kierspe) ist ein deutscher Schauspieler und Synchronsprecher, der seit den 1960er Jahren an über 250 Film- und Fernsehproduktionen mitgewirkt hat. Er ist einer der wenigen deutschen Schauspieler, die regelmäßig in Hollywood drehen, und spezialisierte sich besonders auf skurrile Nebenrollen an der Seite großer Stars. Daneben arbeitete er im Independent- und Arthouse-Bereich mit Regisseuren wie Andy Warhol, Lars von Trier, Rainer Werner Fassbinder, Paul Morrissey, Werner Herzog, Christoph Schlingensief und Gus van Sant.

Leben[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Jugend[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Udo Kier wurde als nichtehelicher Sohn einer Schneiderin in Köln-Mülheim geboren. Wenige Stunden nach seiner Geburt wurden er und seine Mutter bei einem Bombenangriff im Krankenhaus verschüttet, die Mutter konnte jedoch sich und den Neugeborenen befreien. Seinen leiblichen Vater lernte Kier erst als Erwachsener kennen.[2]

Kier war als Heranwachsender Messdiener und Chorsänger in einer Kirchengemeinde. Er verkleidete sich gern und imitierte beispielsweise Caterina Valente. Nach der Schule begann er eine Ausbildung zum Großhandelskaufmann, später arbeitete er bei Ford am Fließband.[3] Bald erkannte er, dass er mit seinem Aussehen mit zarten, mädchenhaften Zügen, auffallend grünen Augen und braunen Locken Geld verdienen konnte. So arbeitete er zeitweise als Mannequin in der Modebranche.[4]

In Cannes lernte er Jean Marais und Arndt von Bohlen und Halbach kennen. Kier behauptet, eine Zeitlang von Letzterem ausgehalten worden zu sein. Mit 19 Jahren ging er nach London und schlug sich dort als Kellner durch. Abends besuchte er die Schauspielschule und lernte unter anderem den Regisseur Luchino Visconti und den Schauspieler Helmut Berger kennen. Ebenso begegnete er in den 1960er Jahren Rainer Werner Fassbinder, mit dem er später mehrere Filme drehte.[5]

Karriere[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

1964 reiste Kier nach Rom, wo er eine schillernde Illustriertenberühmtheit wurde. Zurück in England spielte er mit 23 Jahren erstmals in einem Film und besuchte anschließend in New York eine Schauspielschule. Im Laufe der Zeit und mit größeren Rollen in Film und Fernsehen entwickelte er sich durch sein Aussehen, seinen exzentrischen Ausdruck und seinen Mut zu Rollen jenseits des Üblichen zum Typ des „neugierigen Streuners durch viele schräge Welten“. 1973 brachte er es durch seine Mitwirkung an Paul Morrisseys Filmen Frankenstein und Dracula zu einiger Berühmtheit.[6]

Seinen Hauptwohnsitz behielt Kier bis Anfang der 1990er Jahre in Köln, wo er gemeinsam mit dem Maler Michael Buthe und dem Videokünstler Marcel Odenbach in einer Künstlerkolonie lebte. In den 1980er Jahren versuchte er sich als Musiker, nahm eine Schallplatte mit dem Titel Der Adler auf, die später in seinem ersten amerikanischen Film, My Private Idaho (1991), zu hören war, und reiste mit einem Rock-Pop-Programm nach Moskau.

Kier gehörte zur kulturellen Avantgarde aus Mülheim an der Ruhr. 1988 spielte er unter der Regie von Christoph Schlingensief in Mutters Maske neben Helge Schneider und Charly Weiss. Der Film war eine surrealistisch anmutende Neuverfilmung von Opfergang von Veit Harlan. Kier spielte noch in weiteren Schlingensief-Filmen mit, 1986 in Egomania – Insel ohne Hoffnung an der Seite von Tilda Swinton, 1989 in 100 Jahre Adolf Hitler, 1990 in Das deutsche Kettensägenmassaker, 1992 in Terror 2000, 1992 in Udo Kier – Tod eines Weltstars (in dem er sich selbst spielt), 1996 in United Trash und 1997 in Die 120 Tage von Bottrop. Kier trat gelegentlich auch im Theater auf, etwa an der Seite von Hans Falár in Das kurze Leben der Schneewolken am Bonner Schauspielhaus und mit Christine Kaufmann für ein Tourneetheater in Salome. Im europäischen Ausland übernahm er Rollen in Kino- und Fernsehfilmen.

Im Jahr 1991 ging Kier nach Hollywood und spielte in dem Film My Private Idaho von Gus Van Sant einen exzentrischen homosexuellen Freier. Durch seinen Auftritt als dekadenter Flaneur in zwei Popvideos und dem Skandalbuch SEX der Sängerin Madonna wurden Filmagenturen auf ihn aufmerksam.[7] Er bekam nun zahlreiche Film- und Fernsehrollen in den USA und drehte zudem Werbespots. So war er in der Science-Fiction-Serie seaQuest DSV von Steven Spielberg und in den Kinofilmen Ace Ventura – Ein tierischer Detektiv, Die Legende von Pinocchio, Die neuen Abenteuer des Pinocchio und Shadow of the Vampire zu sehen. Durch die Rolle des Schurken Yuri in dem PC-Videospiel Command & Conquer: Alarmstufe Rot 2 und dem Add-on Yuris Rache erlangte er Bekanntheit in der Gamer-Szene. In der Comic-Verfilmung Blade (1998) stellt Kier den Vorsitzenden einer geheimen Vampirgesellschaft dar. Er arbeitete in Hollywood an der Seite von Nicole Kidman, Michael J. Fox, Keanu Reeves, River Phoenix, Wesley Snipes, Bruce Willis, Dolph Lundgren, John Malkovich, Matt Damon, Christoph Waltz und Arnold Schwarzenegger.

Auch in Europa trat er weiterhin in Erscheinung, insbesondere in Filmen von Lars von Trier, so in Epidemic, Medea, Europa, Hospital der Geister, Breaking the Waves, Dancer in the Dark, Dogville, Manderlay, Melancholia und Nymphomaniac. Auch in deutschen Filmen tauchte er gelegentlich auf, beispielsweise als Killer in einer Folge der Krimiserie Rosa Roth oder als schwuler Terrorist und Modedesigner in Hans-Christoph Blumenbergs Rotwang muß weg! (1993).

In amerikanischen Filmen übernahm er mitunter sehr kleine Rollen. So war er in Josh and S.A.M. nur in einer Szene zu sehen. 1995 spielte er in dem Film Vernetzt – Johnny Mnemonic und 1998 in Michael Bays Armageddon. Von 2005 bis 2007 war Kier in der Kinder-Mysteryserie 4 gegen Z als finsterer Magier Zanrelot zu sehen, der die Herrschaft über Lübeck an sich reißen will. Darin spielte er unter anderem mit Carolyn McGregor. Auch wirkte er 2004 in dem deutschen Film Jargo mit.

2008 wurde die PC-Spiel-Umsetzung von Far Cry gedreht. In dem von Uwe Boll produzierten Werk spielte Kier den Bösewicht Dr. Krieger, den Gegenpart des von Til Schweiger gespielten Jack Carver. 2011 übernahm er die Hauptrolle in dem kanadischen Drama-Thriller Keyhole, den er mit seiner Filmpartnerin Isabella Rossellini bei South by Southwest vorstellte.[8]

Im Jahr 2000 spielte er in dem Musikvideo Make Me Bad der US-amerikanischen Nu-Metal-Band Korn neben Brigitte Nielsen einen bösen Wissenschaftler. Für die Dokumentation Arteholic (Regie: Hermann Vaske), der auf dem Filmfest München uraufgeführt wurde, erhielt Kier den CineMerit Award 2014.[9] Er war außerdem in Installationen und Videoclips der Band U2 im Rahmen ihrer Zoo-TV-Tour (1992–1993) zu sehen.

2008 kaufte Kier ein ehemaliges Schulgebäude im thüringischen Gehren, das er bei den Dreharbeiten zu Lulu & Jimi entdeckt hatte.[10] In der Nazi-Parodie Iron Sky (2012) sowie der Fortsetzung Iron Sky: The Coming Race (2019) verkörperte er den Mondführer Wolfgang Kortzfleisch.

Herausragende Kritiken erhielt Kier für seine Hauptrolle in dem Independentfilm Swan Song von Todd Stephens.[11]

Privates[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Kier zog Anfang der 1990er Jahre von Köln nach Kalifornien und lebt dort in einem Haus in Palm Springs.[12] Er äußert sich selten zu seinem Privatleben, sprach aber 2022 in einem Interview mit der Zeitschrift GQ über seine Homosexualität und erwähnte, dass er seit mehr als 20 Jahren in einer festen Beziehung lebe.[3][13]

Ende Juni 2020 wurde Kier Mitglied der Academy of Motion Picture Arts and Sciences.[14]

Filmografie (Auswahl)[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Synchronrollen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Darüber hinaus war Kier auch als Synchronsprecher tätig und lieh sich in der deutschen Synchronisation folgender Filme selbst die Stimme:

Musikvideos[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Dokumentationen – Porträts[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • 2012: Ich – Udo … starring Udo Kier, Dokumentation, 43 Min.[17]
  • 2022: Interview mit Udo Kier. ARTE FRANCE CINEMA, Frankreich, 53 Minuten

Auszeichnungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Independent Spirit Award

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Hermann J. Huber: Langen Müller’s Schauspielerlexikon der Gegenwart. Deutschland. Österreich. Schweiz. Albert Langen · Georg Müller Verlag GmbH, München · Wien 1986, ISBN 3-7844-2058-3, S. 493.
  • Udo Kier: Footprints (Bildband in limitierter Auflage von 600 Exemplaren), Köln und New York 1991
  • Kay Weniger: Das große Personenlexikon des Films. Die Schauspieler, Regisseure, Kameraleute, Produzenten, Komponisten, Drehbuchautoren, Filmarchitekten, Ausstatter, Kostümbildner, Cutter, Tontechniker, Maskenbildner und Special Effects Designer des 20. Jahrhunderts. Band 4: H – L. Botho Höfer – Richard Lester. Schwarzkopf & Schwarzkopf, Berlin 2001, ISBN 3-89602-340-3, S. 379 f.
  • Gerd J. Pohl: ''Ostheim''. Essay über Kier und Michael Buthe und das Leben in der Künstlerkolonie Köln-Ostheim. Lantershofen und Bergisch Gladbach 2006

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Holger Kreitling & Britta Stuff: Unser Mann in Hollywood oder Der berühmteste Nebendarsteller der Welt. Welt am Sonntag, 20. Februar 2011, abgerufen am 16. Dezember 2023.
  2. Andreas Scheiner: Udo Kier: «Mich hat es lange gestört, in Filmen einen Nazi zu spielen. Aber jetzt war ich schon fünf- oder sechsmal Adolf Hitler». Neue Zürcher Zeitung, 8. August 2022, abgerufen am 16. Dezember 2023.
  3. a b Ulf Pape: Udo Kier im GQ Interview: “Das muss ich nicht spielen. Das bin ich.” gq-magazin.de, 2. Mai 2022, abgerufen am 16. Dezember 2023.
  4. Michael Hausenblas: "Bereuen? Das wäre ja dumm": Schauspieler Udo Kier vor der Linse. derstandard.at, 30. April 2015, abgerufen am 16. Dezember 2023.
  5. Ann-Catherin Karg: Udo Kier über seine wilde Zeit mit Fassbinder. tz.de, 3. Juli 2012, abgerufen am 16. Dezember 2023.
  6. Daniela Janser: Indoor: Grausam sexy – eine Hommage zum 69. Geburtstag von Udo Kier. xenix.ch, Juli 2013, abgerufen am 16. Dezember 2023.
  7. Stefan Stosch: „Ich hatte ein gutes Leben“. Interview mit Kinolegende Udo Kier. rnd.de, 19. Mai 2023, abgerufen am 16. Dezember 2023.
  8. Samuel Zimmerman: SXSW Feature Lineup announced! fangoria.com, 1. Februar 2012, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 16. Mai 2012; abgerufen am 16. Dezember 2023 (englisch).
  9. 30.06.14 – Udo Kier erhält den CineMerit Award 2014. (Memento vom 14. Juli 2014 im Internet Archive) In: filmfest-muenchen.de, abgerufen am 11. Juni 2014.
  10. Markus Mähler: Warten Steine oder Rosen? Freies Wort, 12. Februar 2008, abgerufen am 28. Mai 2013.
  11. FilmInk Staff: Udo Kier: Soars In Swan Song. In: FilmInk. 16. Dezember 2021, abgerufen am 6. Januar 2022 (australisches Englisch).
  12. Valerie Präkelt: Krawatten in der Wüste: So wohnt Schauspieler Udo Kier in Palm Springs. 16. Februar 2020, abgerufen am 10. Mai 2022 (deutsch).
  13. Brian Bromberger: Udo Kier on his 50-year career and 'Swan Song'. ebar.com, 3. August 2021, abgerufen am 16. Dezember 2023.
  14. Academy Invites 819 To Membership. oscars.org, 30. Juni 2020, abgerufen am 16. Dezember 2023 (englisch).
  15. Arteholic. camino-film.com, 16. Oktober 2014, abgerufen am 16. Dezember 2023.
  16. GET WELL SOON: Get Well Soon – It's Love – official video starring Udo Kier auf YouTube, 4. November 2015, abgerufen am 16. Dezember 2023.
  17. Jeremy JP Fekete: ICH – UDO (ME UDO) starring Udo Kier auf YouTube, 3. Februar 2012, abgerufen am 16. Dezember 2023.
  18. Ryan Lattanzio: 2022 Spirit Awards Nominations: A24 Leads with 13, Four Women in for Best Director (Full List). indiewire.com, 14. Dezember 2021, abgerufen am 16. Dezember 2023 (englisch).